H o m e p a g e    von   
G ü n t e r   S i e l i n g


 
 

Unter diesem Menuepunkt beabsichtige ich, stets wechselnde historische, aktuelle und interessante Photos aus allen  Lebensbereichen zu veröffentlichen.

 


Nachstehende Photos meiner Vorfahren mögen dem Betrachter eine Vostellung vermitteln, wie sich damals der Mensch im " Sonntagsstaat " photografieren ließ, um sein Konterfei einmal den Nachfahren hinterlassen zu können. In der Tat hat nun heute einer ihrer  Nachfahren auch ihre Photo in dieser Homepage veröffentlicht. Was werden sie  sich  irgendwo im unendlichen Kosmos freuen, dass nun praktisch alle Welt sehen kann, was für stattliche Leute sie einst gewesen sind und was für tolle Vorfahren der Autor Günter Sieling gehabt hat.  Als diese Photos vor etwa 150  Jahren mit viel Mühe gemacht wurden, hätten sie sich das nicht einmal im Traum vorstellen können.

Sie posierten meist in starrer Haltung vor der großen Holzkamera, hinter der ein Photograf stand, der ein großes schwarzes Tuch über Kopf und Kamera gelegt hatte, damit er bei geöffnetem  Kameraverschluß den Ausschnitt und die Schärfe des Photos auf der Mattscheibe besser einstellen konnte. Wenn alles stimmte, durfte sich die Person nicht mehr bewegen. Der Photograf schloß mit einem Drahtauslöser den Verschluss und  steckte an Stelle der Mattscheibe nun eine lichtdichte Kassette, in der sich die lichtempfindliche Glasplatte im Format 9 x 12 cm befand,  in den Schlitz hinein und zog einen  Schieber der Kassette nach oben heraus, so dass die Negativplatte durch das Objektiv der Kamera belichtet werden konnte. Sodann drückte der Photograf den Knopf des Drahtauslösers, öffnete damit den Verschluss des Objektivs und zählte laut "einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiunsdzwanzig". Dann drückte er erneut auf den Drahtauslöser, um den Verschluss zu schließem, drückte den Schieber wieder nach unten und entnahm die jetzt wieder lichtdichte Kassette der Kamera. Erst jetzt durfte  die portraitierte Person  wieder atmen und sich bewegen.

Später wurde die Negativ-Glasplatte in einer Dunkelkammer bei dunkelrotem LIcht der Kassette entnommen und in einer viereckigen kleinen Glasschale in einem Hydrochinonbad entwickelt. Dabei schwärzten sich die vom Licht der Kamera getroffenen Stellen je nach Lichteinfall mehr oder weniger schwarz. Da die Emulsion auf der Glasplatte für die Farbe rot nicht empfindlich war, konnte der Laborant bei rotem Licht sehen, wie sich langsam das Negativ aufbaute und im richtigen Moment die Entwicklung beenden. Da es zur Zeit meiner Urgroßeltern noch kein elektrisches Licht gab, benutzte der Fototgraf eine Laterne oder Petroleumlampe mit roten Scheiben. So entstand ein Negativ, das anschließend durch ein weiteres Bad fixiert und damit lichtunempfindlich wurde. Nach längerer Wässerung   wurde die Negativplatte auf einem kleinen Holzgestell getrocknet. Dann erst konnte das eigentlichem positive Bild erstellt werden

Hierfür wurde das anfangs noch recht unempfindliche Photopapier zusammen mit dem Glasnegativ in einen Rahmen eingelegt und dann unter Kontrolle dem Sonnenlicht ausgesetzt, bis das Bild die richtige anfangs noch dunkelbraune Färbung angenommen hatte. Dann wurde es fixiert, gewässert und schließlich mit einer Wäscheklammer an einer Schnur befestigt und luftgetrocknet. So entstand nach mühseliger Prozedur ein einzelnes Bild. Von dem Glasnegativ konnte mann natürlich nach und nach weitere Bilder anfertigen. So entstanden auch die nachstehenden Bilder meiner ältesten Vorfahren.

150 Jahre später erstellt der Mensch sekundenschnell die tollsten Farbphotos ohne Entwicklungs- und Fixierbäder. Zu Tausenden werden sie auf einem winzigen Speichermedium gespeichert, dass kleiner ist als eine Briefmarke. Dort lagern sie wohlbehalten viele Jahre. Die Wahrscheinlichkeit, ein bestimmtes Bild aus dieser Unmenge wiederzufinden, schwindet von Jahrn zu Jahr. Die vielen Millionen Fotos werden nur noch einen  Wert haben, solange sie aktuell sind und schon bald in Vergessenheit geraten, denn es wird immer schwieriger werden,  aus der Unmenge erstellter Fotos ein bestimmtes Foto wiederzufinden. Wenigstens das von der Kameraautomatik festgehaltene Aufnahmedatum wird uns bei der Fahndung nach einem bestimmten Foto hilfreich sein.  



 

Das also ist nun das auch für damalige Verhältnisse imposante Eckhaus Detmolder Str. 52 Ecke Coblenzer Str.11 in Berlin-Wilmersdorf. Coblenz wurde damals noch mit einem „C“ geschrieben. Erst ab 1926 wurde die Schreibweise mit einem „K“ am Anfang eingeführt. Dem Vernehmen nach soll dieses Eckhaus im Jahre 1906 erbaut worden sein, hat also ein Alter von etwa 106 Jahren. In diesem etwas gehobeneren Berliner Milieu verlebte ich, der späte Autor Günter Sieling, meine Kindheit bis zum 12ten Lebensjahr. Es ist erstaunlich, an wie viele Dinge ich mich noch als 98-Jähriger erinnern kann. Dieser Wohnblock wurde im letzten Krieg durch Bomben und Kampfhandlungen zwar leicht beschädigt, aber nicht ausgebombt. Eine komplette Restaurierung innen und außen hat das Aussehen nachhaltig verändert, wie dies auch auf den Fotos der 60er Jahre erkennbar ist. So sind leider die schönen Stuckarbeiten an der Ecke wohl auch aus Kostengründen, einer glatten Fassade gewichen. Das Foto dürfte etwa um 1920 gemacht worden sein, da die wahrscheinlich um 1907 gepflanzten Bäume auf dem Bild doch schon eine beachtliche Größe aufweisen. Die Firmen Bolle und Milka fuhren zu dieser Zeit noch mit Ihren Pferdegespannen durch die Straßen und boten frische Milch, Butter, Käse und Eier feil. Nachdem sie ihre Anwesenheit mittels einer Handglocke kund getan hatten, rief der Bollekutscher lauthals: „Frische Milch, Käse und Butter“. Und die Kinder riefen dazu: „Bolle bim bim, die Milch ist zu dünn, der Käse zu dick, Bolle verrückt“! Hier auf dem Bild hält gerade ein Pferdewagen von MILKA direkt vor dem Haus Coblenzer Str. Nr. 11. Die Hausfrauen kamen nach den Glockentönen meist mit einer 1-Ltr. Milchkanne herunter. Der Händler schöpfte dann mit einem kleineren Becher die Milch aus einer großen 25 Ltr. Milchkanne und füllte damit die Milchkannen der Hausfrauen. Auch die Butter war natürlich nicht abgepackt. Mit einer Holzkelle teilte der Milchmann, so wurde er genannt, die in einem großen Fass befindliche Butter, und legte die Teile auf zugeschnittenes Pergamentpapier, bis die Wage das von der Kundin gewünschte Gewicht anzeigte. Wie man auf dem Bild erkennen kann, schlossen sich links an das Haus Nr. 11 noch weitere 6 Häuser an bis zum Bahndamm am Ende des letzten Hauses. In den Jahren 1967 und 1968 wurden die letzten 4 Häuser abgerissen, um der inzwischen längst fertig gestellten neuen Berliner Stadtautobahn Platz zu machen. Während sich in der Detmolder Strasse zahlreiche Einzelhandelsgeschäfte befanden, gab es in der Coblenzer Str. keine Läden.

  

 

So schaut heute das restaurierte und modernisierte Eckhaus aus. Während dieser Teil der Koblenzer Str. zu einer Sackgasse geworden ist, mutierte die Detmolder Str. zu einer recht belebten Durchgangsstraße, an der Parkplätze Mangelware geworden sind. Dieses Foto knipste ich 1998, so dass wohl heute, 18 Jahre später, auch die Straßenbäume inzwischen Dachhöhe erreicht haben werden. Übrins, links im Erkerzimmer, 1.Stock erblickte ich auf einem großen eichernen Ausziehtisch das Licht dieser Welt. Dieser Tisch steht bis heute noch immer in der Wohnung meiner Tochter Angelika.

 

 

Gottlieb Traugott Kretschmer, geb. 26.8.1806, also vor mehr als 200 Jahren, gest. 12.6.1880. Er ist einer meiner 8 Ur-Ur-Großväter. Als Lehrer und Küster in Steinhöfel bei Frankfurt an der Oder gehörte er zu den priviligierten Zeitgenossen, die sich den Luxus eines Portraitphotos leisten konnten. Er hatte 6 Geschwister.

 

 

Seine Ehefrau und eine meiner 8 Ur-Ur-Großmütter, Juliane, Christiane Kretzschmar, geb. Thieme, wurde am 28.05.1808 in Petersberg/Sachsen geboren. In jungen Jahren war sie Erzieherin beim Fürsten Reuß in Steinhöfel. Es ist daher naheliegend, dass sie dort auch ihren Ehemann kennenlernte, der ebenfalls beim Fürsten als "Schulhalter" tätig war. Sie starb am 15.01.1896 im Alter von 88 Jahren.

 

 

Auch August, Johann, Wilhelm Gloatz, war einer meiner 8 Ur-Ur-Großväter. Er lebte in Züllichau in der Mark Brandenburg und war von Beruf Lehrer. Das unter seiner Hand liegende Buch galt als Zeugnis besserer Bildung. Man trug damals ein kostbares seidenes Halstuch statt Krawatte. Seinem Gesichtsausdruck könnte man entnehmen, dass er gewiß ein strenger Lehrer war.

 

 

Die Ehefrau von August Gloatz hieß Caroline, Albertine, Dorothea, geborene Ehrlich, geb. 18.04.1809 in Treplin bei Frankfurt a.d.Oder. Ihr Vater war Kantor und Lehrer in Platkow. Sie starb am 15.06.1891 im damals überdurchschnittlichen Alter von 82 Jahren. Auch sie hält als Zeichen ihrer Bildung ein Buch in ihrer Hand. Im Sonntagsstaat und aufwendigem Kopfschmuck schaut sie ernst und kritisch in das Objektiv der Kamera. Wahrscheinlich befand sich unsichtbar hinter ihrem Kopf eine Stütze wegen längerer Belichtungszeit.

 

 

 

 

 

 

Emilie, Dorothea, Caroline Gloatz war eine der Töchter meiner vorstehenden UR-UR-Großeltern und wurde nach der Heirat des nachstehenden Herrmann Traugott Kretzschmar eine meiner 4 Urgroßmütter. Sie wurde am 23 02. 1838 in Platkow geboren und starb, 70-jährig, am 06.03.1908 in Berlin. Auch sie ließ sich im Sonntagstaat, der offenbar immer die Farbe schwarz haben mußte, fotografieren.

 

 

Einer meiner 4 Ur-Großväter, Herrmann Traugott Kretschmar, wurde am 19.07.1831 in Steinhöfel, Kreis Lebus geboren.. Er war Lehrer und Cantor in Steinhöfel und später in Heinersdorf. Er starb am 09.02.1908 in Berlin-Charlottenburg. Es begann die Zeit der steifen Halskragen, an die auch ich mich nur ungern erinnere. So trug ich 1936 beim Tanzstundenball einen wißen steifen Kragen, der doch recht lästig war. Auch Bärte gehörten wieder verstärkt zur Herrenmode dieser Zeit. .

 

 

Das waren nun also meine Urgroßeltern väterlicherseits im Festgewand. Mein Urgroßvater Friedrich Gottlob Sieling wurde am 30.05.1820 in Bottendorf/Thüringen geboren, erlernte, wie sein Vater, das Schlosserhandwerk und wanderte nach Berlin aus, wo er spätestens im Jahr 1850 als 30-Jähriger angekommen sein dürfte, denn er heiratete dort am 05.06.1850 seine fast gleichaltrige Ehefrau und damit meine Urgroßmutter väterlicherseits, Rosine, Christiane Eleonore Riegel, die am 03.12.1820 in Schlettau, Saalekreis Bezirk Halle, als Tochter des Maurers Gottlieb Riegel, geboren wurde. Sie wohnte damals lt. Angabe im Trauregister bereits in Berlin in der Roßstr. 5, während mein Urgroßvater am Tage seiner Hochzeit bereits in der stadtgeschichtsträchtigen Fischerstr. 29 in Alt-Berlin wohnte. Im Hinterhaus dieses Hauses, das den Namen „Haus zum Eichhorn“ führte und im Jahre 1604 erbaut worden war, betrieb er eine Schlosserei. Dieses Berliner Wohngebiet ist die historische Mitte Alt-Berlins, nahe der Spree, wo damals auch die Fischer ihr Handwerk betrieben und ihren Wohnsitz hatten. Daher stammt der Strassenname „Fischerstrasse“. Eine Graphic dieses Hauses wurde sogar 1935 in einer Berliner Tageszeitung veröffentlicht. Sie gehört zum sog. Nikolaiviertel mit der Nikolaikirche, der ältesten im 13. Jahrhundert erbauten Kirche Berlins. Man beachte die typischen zweistöckigen Häuser mit oft mehreren Hinterhöfen und den hölzernen Galerien Mein Ur-Großvater Friedrich Gottlob Sieling starb am 05.05.1893 in Berlin, meine Urgroßmutter Rosine, Christine, Eleonore Sieling starb 11 Tage später am 16.05.1893 in Berlin.

 

 

Ganz in der Nähe, in der Fischerstraße 21, befand sich zu dieser Zeit auch Berlins ältestes „Gasthaus zum Nussbaum“. In diesem 1507 erbauten Gasthaus soll Michael Kohlhaas aus der Novelle Kleists einst Inhaber gewesen sein. Das Gasthaus zum Nussbaum war zu Lebzeiten meines Urgroßvaters auch das Stammlokal des Malers und Zeichners Heinrich Zille (1858 -1929), der sich die Motive für seine Zeichnungen aus dem Berliner Leben, seinem „Milljöh“, holte. Mein Vater erzählte uns, dass sein Großvater auch häufig Gast im „Nussbaum“ war und deshalb mit diesem Berliner „Original“ persönlich gut bekannt war. Zille selbst hat seine „Kneipe zum Nussbaum“ auf einer Zeichnung verewigt und folgenden Vers geschrieben: „Tagesarbeit, ernster Wille, nachts ‚nen Schluck in der Destille und een bisken kille, kille, det hält munter – Heinrich Zille.“

 

 

Leider wurde das gesamte Nikolai- Vt die DDR im Zuge des neu erbauten Nikolai - Viertels auch das „Gasthaus Nussbaum“ wieder rekonstruiert mitsamt einem neu gepflanzten Nussbaum, wenn auch nicht genau an der gleichen Stelle, an der es damals gestanden hat. Ein Ölbildnis vom Gasthaus hängt seit vielen Jahren zur Erinnerung an die Lebensumwelt meiner Vorfahren bei uns in Frankfurt am Main im Wohnzimmer

 

 

Mein Großpapa Paul Sieling, geb. 22.08.1856 in Berlin der bei seinem Vater ebenfalls das Schlosserhandwerk erlernt hatte, heiratete am 5.April 1880 die Handarbeiterin Minna, Auguste, Bertha, geb. Schlobach, die gleich im Nebenhaus, in der Fischerstr. 30 wohnte. Sie werden sich wohl schon längere Zeit gekannt haben. Sie übersiedelten nach Charlotttenburg in eine Wohnung in der Waldstr. 59 und bekamen alsbald zwei Kinder: am 30.01.1881 Tochter Clara Sieling und am 05.01.1882 Tochter Marie, Minna, Anna Sieling. Doch schon im Jahr 1887 starb die Mutter. Inzwischen hatte mein Großpapa Paul Sieling eine Anstellung bei der Firma Siemens in Siemensstadt als Schlosser und Calculator bekommen.

 

 

Das ist die prächtig gestaltete Konfirmationsurkunde meines Großvaters Carl Christian Albert Paul Sieling

 

 

Auch meine Großmama Martha Kretschmar, geb am 11.04.1861 in Heinersdorf, Kreis Lebus, die in Heinersdorf eine recht sorgenfreie Jugend verlebt hat, hatte inzwischen eine Stellung in Berlin als Büroangestellte angenommen. Irgend wann und wo in Berlin hat sie dann meinen inzwischen zum Witwer gewordenen, damals 32- jährigen Großvater Paul Sieling kennen gelernt. Jedenfalls wurde am 5.Oktober 1888 geheiratet. Mein Großvater brachte die zu dieser Zeit 7- jährige Tochter Clara und die 6-jährige Tochter Marie mit in die Ehe. 1 Jahr später, am 28.08.1889 wurde mein Vater Fritz Hermann Paul Sieling geboren. Im Verlaufe der Jahre wurden noch weitere 6 Geschwister geboren, von denen aber 2 Jungen und 1 Mädchen schon nach wenigen Monaten starben.

 

 

Auch die 140 Jahre alte Konfirmationsurkunde meiner Großmama war grafisch prachtvoll gestaltet und hat es verdient, der Nachwelt erhalten zu bleiben

 

 

Interessant ist auch die Gestaltung der Gesellenurkunde, legt sie doch Zeugnis davon ab, welche Bedeutung solch einer Prüfung zukam

 

Diese letzte gemeinsame Aufnahme meiner Großeltern läßt schon eine beginnende gesundheitliche Verschlechterung meines Großvaters erkennen. Es war ihm noch vergönnt, die am 16.02.1916 erfolgte Geburt seines ersten Enkelkindes, meines Bruders Gerhard, mitzuerleben. Mein Großvater starb, 60-jährig, am 24.10.1916 in Berlin Charlottenburg. So konnte er meine am 29.01.1918 erfolgte Geburt nicht mehr erleben und auch ich habe meinen Großvater väterlicherseits nur aus Erzählungen und durch etliche Fotos kennengelernt. Meine Großmama wurde also bereits mit 55 Jahrenn Witwe. Sie verstarb 19 Jahre später, 75-jährig, am 09.04.1935

 

 

So sah es 1912, also 2 Jahre vor Beginn des 1. Weltkrieges, rund um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin aus. Auch meine Großeltern und meine Eltern schlenderten an Sonn- und Feiertagen hier durch die Anlagen, wie sie manchmal erzählten.

 

Auch diese Zeit, da die bereits doppelstöckigen Omnibusse noch von Pferden gezogen wurden, haben meine Großeltern und meine Eltern miterlebt. Die Jahre der Kaiserzeit vor dem 1.Weltkrieg waren die schönsten Jahre ihres Lebens, wie sie mir immer erzählten. Am 21.08.1902 fand in Berlin die letzte Fahrt der Pferde-Straßenbahn statt, die vom Wedding-Platz zur Potsdamer Straße fuhr. Die Straßenbahner trugen schmucke Uniformen und zeigten sich stolz dem Fotografen. Und natürlich trugen alle Männer eine Kopfbedeckung und Anzüge mit einer Weste, in denen oft eine Taschenuhr mit Kette sichtbar getragen wurde. In der Destillation an der Ecke gab es Burgschloss-Lagerbier, Weiss-Bier mit n’em Schuss, Frühstück, einen „Grossen Mittagstisch“ und Tischbillard.

 

 

Dieses Foto entstand 1995 in einem Fotoatelier in Berlin-Moabit. Links, mein 6-jähriger Vater Fritz Sieling, rechts sein 3-jähriger Bruder Bruno, der 1915 im ersten Weltkrieg gefallen ist, und in der Mitte die fast zweijährige Schwester Charlotte. Matrosenanzüge für Kinder waren zu dieser Zeit hochmodern.

 

Wahrscheinlich handelt es sich bei dieser 61 Schüler starken Gruppe um 2 Klassen eines Jahrganges. Man betrachte die hochgeschlossene Bekleidung der Jungen, davon allein 5 Kinder, auch mein Vater, im damals modischen Matrosenanzug und natürlich alle recht folgsam, beide Hände brav auf den Oberschenkeln liegend. Zu dieser Zeit hatten übrigens die Lehrer noch das Züchtigungsrecht, sogar mit dem berüchtigten Rohrstock. Die oben stehende damalige 212. Gemeindeschule befand ich in der Siemensstr. 20 in Berlin-Moabit, so dass mein Vater von der Wohnung, seit 1893 Waldstr. 59, nur wenige Minuten zu laufen hatte. Die Schule wurde 1988 total saniert, beherbergt heute die 3.Grundschule und trägt den Namen „James Krüss-Schule“.Das Klassenfoto oben zeigt 4 Jahre später, diesmal wohl die geschlossene Klasse mit 36 Schülern und ihrem gestrengen Klassenlehrer. Dass damals bereits 13 jährige Schüler Krawatten und sogar Fliegen trugen, mutet uns heute recht seltsam an.

 

Die schmuckvolle Konfirmationsurkunde meines Vaters.

 

Dieses Foto machte mein Vater im Sommer 1909. Es war einn beachte: Lange Kleider und phantasievolle Hüte bei den Damen und natürlich Glockenhut bei den Männern. Von links: Clara u. Otto Zybalski, Familie Marie und Fritz Alban, Bruno Sieling, Martha Sieling (Günters Großmama), Charlotte Sieling, Paul Sieling (Günters Großpapa), Familie Beelitz, vorn links: Fritz und Erna Beelitz, Martha Sieling, Meta und Hans Beelitz, sitzend: Werner Zibalsky

 

Mein Vater im Jahre 1910. Inzwischen war aus dem Konfirmanden Fritz Sieling ein fescher junger Mann geworden, der sich hier selbstbewußt vor der Kamera in Pose stellt. Zu dieser Zeit verfügte mein Vater bereits über eine große Kamera für Glasnegative im Format 9 x 12, die er von einem Onkel geerbt hatte. Mit dieser Kamera entstanden fortan zahlreiche Familienfotos.

 

Das sind die Kollegen meines Vaters im Büro der Krankenkasse in der Dirksenstr. In Berlin. Arbeit auf engem Raum, es gab kaum weibliche Bürokräfte, man trug Anzüge und Hemden mit steifem Kragen mit Krawatte oder Fliege. Es gab sogar schon ein Telefon, das man auf dem obersten Bord des Stehpultes erkennen kann. Folgende Namen seiner Kollegen hat mein Vater auf der Rückseite des Bildes festgehalten: Kunicke, Fischer, Herzog, Novicki, Gabler. Aufgenommen im Jahre 1911.

 

So sah das damalige „Großraumbüro“ der Krankenkasse in der Berliner Dirksenstr.aus, in dem mein Vater, Fritz Sieling, von 1910 bis 1914 als Kassierer tätig war (In der Mitte am 2.Stehpult, dem Betrachter den Rücken zugewandt). Typisch die seinerzeit üblichen Stehpulte mit den in der Höhe verstellbaren Hockern. Immerhin gab es schon elektrische Beleuchtung mit höhenverstellbaren Lampenschirmen und über dem ersten Stehpult ein Telefon mit Kurbel, um das „Fräulein vom Amt“ anzuwählen, das einem dann mit dem gewünschten Teilnehmer verband. Da zu dieser Zeit nur ganz wenige Privathaushalte ein Telefon besaßen, dürfte es nur selten geklingelt haben.

 

Mitarbeiter des V.D.H. (Verband Deutscher Handlungsgehilfen) im Jahre 1911 bei einem Betriebsausflug an den Grunewaldsee, der einer Herrenpartie gleichkommt. Mein Vater Fritz Sieling steht auch hier ganz rechts aussen, weil er ja seine große 9 x 12 – Holzkamera einrichten und den Selbstauslöser betätigen musste. Man beachte, dass alle Männe rmodisch gekleidet waren: Weiße steife Kragen und Krawatten, dunkle Filzhüte, teilweise Spazierstöckle und etliche, wie auch mein Vater, mit Schnauzbart.

 

Meine Mutter, Lisbeth Worbs, als späte Konfirmandin

 

 

1912: Erstes Rendevous meiner Mutter Lisbeth Worbs

1912:Erstes Rendevouz zwischen meiner Mutter Lisbeth Worbs und meinem Vater Fritz Sieling.

 

Meine Eltern:: Lisbeth Worbs und Fritz Sieling grüßen 1913 als Verlobte.-

 

Obwohl am 1. August der 1. Weltkrieg mit einer Kriegserklärung an Russland begonnen hatte, konnte Weihnachten 1914 die ganze Familie im Elternhaus in der Haeseler Str. 13 in Berlin-Westend vor einem mit echten Kerzen geschmückten Weihnachtsbaum ein schönes, wenn wohl auch ernstes Weihnachtsfest feiern. In der Mitte die Großeltern Martha (53) und Paul Sieling (58) umgeben von den Kindern z.T. mit Anhang und den Enkelkindern. Hinten links Otto Zibalsky, Ehemann von Tochter Clara (Tochter von Paul aus erster Ehe) (33), die direkt vor ihm steht im dunklen Kleid, rechts hinten stehend mit Sektglas: Bruno (22), der zu dieser Zeit noch nicht wusste, dass dies das letzte Weihnachten seines Lebens sein würde. Das Brautpaar, ganz links stehend, sind Günters Eltern Fritz Sieling (25) und Lisbeth Worbs (21), rechts neben meinem Großvater steht Tochter Marie (32), inzwischen auch verheiratet mit Fritz Alban, der auf dem Foto vergnüglich qualmt. Direkt vor ihm Fräulein Müßigbrot, eine Bekannte des Hauses Sieling. In der vorderen Reihe von links Tochter Martha Sieling (13) mit einem neuen Püppchen, Werner Zybalski (Sohn von Clara und Otto Zybalski) mit dem neuen Weihnachtsgeschenk, eine Lokomotive und schließlich Tochter Charlotte (22). Übrigens bestätigt dieses Foto, dass früher jedes Kind meist nur ein einziges Weihnachtsgeschenk bekommen konnte. Wenn einige die Augen schließen oder nach unten schauen, dann deshalb, weil das Blitzlichtband mit daran hängendem Papierstreifen mit einem Streichholz entzündet wurde und einen für die meisten ungewohnten, mehrere Sekunden andauernden gleißenden Schein erzeugte. Übrigens sieht man meinen Vater Fritz Sieling auf vielen Fotos meist außen stehend, weil er entweder den Selbstauslöser an der Holzkamera aktivieren musste oder aber, wie wohl auch bei diesem Foto, den etwa 20 cm langen Papierstreifen mit einem Streichholz entzündete. Die Zeit, die die kleine Flamme brauchte, um an dem herabhängenden Papierstreifen hochzuklettern, um dann das daran geknüpfte metallische Blitzlichtband zu entzünden, musste ausreichen, damit mein Vater sich noch rechtzeitig am Rande der aufzunehmenden Gruppe postieren konnte. .

 

Am 5.August 1918 ist Bruno, Bruder meines Vaters und daher mein Onkel, zum Reserveregiment 37 an die Ostfront versetzt worden, darunter 170 Landstürmer aus Charlottenburg und Neuköln. Nach 2-tägiger Bahnfahrt wird der Zielort Kosten bei Posen erreicht. Es folgt ein mehrtägiger Fußmarsch von etwa 150 km bis die Front in Russland erreicht ist. 10 Feldpostbriefe und 27 Postkarten von ihm sind erhalten geblieben, in denen er freimütig die jeweilige Situation schildert. Er berichtet von guter Verpflegung aus der Gulaschkanone, aber auch von Läusen am ganzen Körper. „Einen Tod kann man bloß sterben. aber für mich ist noch keine Kugel gegossen“ und ein anderes mal „nur nicht ängstlich sein, immer dreiste und frohen Mut“. „Schlafen tun wir im Freien, Schützengraben. Schläft sich ganz gut“. „Die Russen rücken aus, wenn sie sehen, wir kommen“. „Ein Schrapnellschuß ist in meinen Tornister reingegangen und drin geblieben, hat meinem Körper nicht geschadet“. „Tag auf Tag werden hier hunderte von Russen gefangen“. „Waschen tut man sich alle 8 Tage, wie man gerade Zeit und Gelegenheit hat“. „Mit den Russen werden wir bald kleine kriegen, dauert nicht mehr lange“. „Angriffe werden immer gemacht, Tag und Nacht. Die Kugeln sausen einem hier nur immer um die Ohren, wird man gewöhnt, immer dreiste und Mut haben.“Das waren Auszüge aus einem Feldpostbrief vom Landsturmmann Bruno Sieling, III Batl. Inf.-Reg.Nr. 332, 166 Inf. Brigade, 83. Inf.-Division vom 11.9.1915 an seine Eltern Familie Paul Sieling, Berlin-Charlottenburg, Haeseler Str. 13. Es war sein letzter Brief an Eltern und Geschwister! 3 Tage später, am 14. September 1915, ist mein Onkel Bruno Sieling gefallen, Soldaten sterben nicht, sie "fallen".

 

Vorstehend habe ich fast ausschließlich von meinen Ahnen väterlicherseits berichtet. Von meinen Vorfahren mütterlicherseits gibt es leider nur wenige Fotos, die später von mir in dieser Galerie gezeigt werden. Das ist meine Großmutter Klara, Emilie, Agnes Worbs, geb. Sellnow, geb.21.11.1861 in Wangerin/Pommern, gest. 17.05.1939 in Berlin. Sie betrieb zusammen mit ihrem Mann, meinem Großvater Wilhelm Worbs, in. der Schlüterstrasse 19 in Berlin-Charlottenburg zeitlebens dieses gutgehende Antiqitätengeschäft. Noch heute gibt es diesen Laden an gleicher Stelle, in dem jetzt antiquarische Bücher verkautt werden.